Der schwarze Diademsseigel
oder Lanzettseeigel Diadema antillarum ist gewöhnlich eine
nachtaktive Art. Die Tiere können einen Durchmesser von fast einem
halben Meter erreichen und ernähren sich an den Felsküsten als
unspezialisierte Weidegänger von Algen. Mit ihren langen flexiblen
Stacheln, die auch zur Lokomotion eingesetzt werden, sind sie vor fast
allen Angreifern geschützt und bieten zusätzlichen Schutz für kleine
Wirbellose und Fische, die sich in ihrer Nähe aufhalten. Die
Stachelspitzen sind mit Widerhaken bewehrt und von einem giftigen Sekret
umkleidet. Für den Menschen ist der Kontakt sehr unangenehm. Der
Einstich ist schmerzhaft und die Haut läuft an dieser Stelle blau an, es
besteht jedoch keine Gefahr (Als Gegenmittel: Essig löst die
Kalkstacheln auf).
Diademseeigel vermehren sich wie andere Arten sexuell, indem die
Männchen und die Weibchen ihre Gameten (Eier und Spermazellen) ins freie
Wasser stoßen. Damit es außerhalb des Körpers auch zur Befruchtung
kommt, sind die sexuellen Vorgänge bei allen Individuen exakt mit der
Mondphase und der jeweiligen Gezeit synchronisiert. Die Larven
entwickeln sich frei schwebend im Plankton, bis sie sich in einem
gewissen Stadium an einer neuen Besiedlungsfläche niederlassen.
Interessanterweise können Diademseeigel keine Flächen besiedeln, die von
dichten Algenwäldern überwuchert sind. Sie kommen also vor allem dort
vor, wo die Algenflora bereits angegriffen ist, um dann, sofern sie in
Massen auftreten, sehr effektiv die Restbestände zu vernichten. Man
spricht von einem bar rock syndrom (Syndrom der kahlen Felsen)
oder banquizales und von einem biologischen Flip-Flop-System.
Unter dem Begriff Flip-Flop, der in der Digitaltechnik geläufig ist,
muss man sich folgendes vorstellen: Man schiebt ein Wasserglas langsam
über den Tisch bis zur Kante. An einem ganz bestimmten Punkt kippt das
Glas über die Kante hinweg und fällt zu Boden. Es gibt also nur die
beiden stabilen Zustände "auf dem Tisch" oder "auf dem Boden" und der
Wechsel zwischen beiden Zuständen erfolgt schlagartig. Da in der Natur
ein Zustandswechsel - oft herbeigeführt durch menschliches Eingreifen -
ebenso schlagartig und unvermittelt erfolgt, spricht man in diesem Sinne
von "umgekippten" Ökosystemen.
Die blanquizales sind vor La Gomera und Teneriffa, ein akutes
ökologisches Problem. Die Diademseeigel treten stellenweise in solchen
Massen auf, dass sie von ihrer nachtaktiven Lebensweise völlig abweichen
und auch bei Tage die Felsen abweiden. Damit zerstören sie massiv die
Nahrungsgrundlage für andere Arten und vor allem die
Versteckmöglichkeiten für kleine Organismen, Nachwuchs und Brutgelege.
Die Konsequenzen auf sämtliche Algen-, Wirbellosen- und Fisch-Bestände
sind kaum auszudenken. Ökologisch wichtige Arten wie die Meerheide
Cystoseira abies-marina wurden bereits unter Schutz gestellt. An
manchen Orten, z. B. auf Teneriffa hat man Taucher losgeschickt, um der
Katastrophe gezielt Herr zu werden. Meines Erachtens völlig unnötig:
Diademseeigel vermehren sich sehr schnell und man bekämpft durch
Massenvernichtung der Tiere keineswegs die Ursachen.
Wie zahlreiche andere
Probleme wurde nämlich auch dieses vom Menschen geschaffen: Der
Diademseeigel hat einige wenige, aber mitunter sehr spezialisierte
Feinde. Igelfische (Chilomycterus reticulatus), Drückerfische (Balistes
carolinensis, Canthidermis sufflamen), Tritonshorne (Charonia
variegata), ausgewachsene Eisseesterne (Martasterias glacialis)
und Dornensterne (Coscinasterias tenuispina). Nun hat man aus den
aufgeblasenen Igelfischen sehr dekorative Lampenschirme gebastelt, die
in einigen Seemannskneipen zu bewundern sind. Die Tritonshorne lassen
sich als "Muscheln mit Meeresrauschen" ebenfalls gut in Souvenirläden
verkaufen. Die Drückerfische (spanisch Gallos) sind unter
Fischfeinschmeckern begehrt, vor allem lassen sie sich gut harpunieren,
da sie entweder neugierig sind, oder ihr Revier gegen den Eindringling
verteidigen wollen. Den räuberischen Seesternen fehlt es schließlich
aufgrund der kahlen Felsen an geeigneten Versteckmöglichkeiten.
Ausgewachsene Exemplare, die einen Seeigel überwältigen könnten, sieht
man daher immer seltener.
Wie mir ein Tauchpartner berichtete, soll das Ökosystem in dieser
Beziehung immerhin vor El Hierro noch intakt sein: Aufgrund
entsprechender Regulationen gäbe es dort genügend Drückerfische und fast
keine Diademseeigel.
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