Infralitoral
 
Felsriff, Felsküste
Riffe und Felsküsten bieten Verankerungsmöglichkeiten für sämtliche Großalgen und sesshafte Tiere, die auf sandigem Untergrund keine Chance haben, anzusiedeln. Geht beispielsweise über Sandgrund ein Schiff unter (wie die "Swagman" im Jahre 2006 vor der Finca Argayall),  so entsteht in kurzer Zeit eine regelrechte Oase. Großalgen bilden zunächst dichte Unterwasserwiesen und -wälder. Durch die neu vorhandenen Nahrungsquellen und Versteckmöglichkeiten, folgen auch Fische und Wirbellose. Es bildet sich eine mehr und mehr komplexe Riffgemeinschaft.  
Wrack der "Swagman"
Wrack der "Swagman"
Neubildung eines Riffs: Die "Swagman" sank am 23. Januar 2006 vor der Finca Argayall auf etwa 12 Meter tiefen Sandgrund (Foto oben: 30.01.2006). Ein halbes Jahr später ist das Wrack bereits von dichten Algenwiesen überwuchert und bietet zahlreiche Mikrohabitate.

 

Asparagopsis taxiformis   Caulerpa webbiana
Algenrasen (hier: Asparagopsis taxiformis, Caulerpa webbiana) bilden eine wichtige Grundlage der Riff-Gemeinschaft
Die Algenwälder differenzieren sich in mehrere Schichten: Inkrustierte Kalkrotalgen wachsen zu unterst oder in Schattenlagen, da sie auf wenig Licht angewiesen sind. Je nach verfügbarem Sonnenlicht oder Strömungsexponiertheit bilden entweder lichtliebende Grünalgen (z. B. Caulerpa),  anspruchslosere Rotalgen (z. B. Asparagopsis) oder robuste Braunalgen (Padina pavonica) einen dichten Rasen. Eventuell folgt eine dritte Schicht aus langlebigen Tangen (z. B. Braunalgen Cystoseira, Sargassum).

 

Einige Fische ernähren sich fast ausschließlich von Großalgen. Goldstriemen (Sarpa salpa), im englischsprachigen Raum auch als "Kuh-Brassen" bezeichnet, ziehen als unspezialisierte herbivore Weidegänger in großen Schulen über die Felsgemeinschaft. Der Rotlippen-Schleimfisch (Ophioblennius atlanticus atlanticus) ist ein reiner Grundfisch, der auch inkrustierte Algen von den Felsen abknabbert. Die bunten Papageifische (Sparisoma cretense) ernähren sich zumindest teilweise von Algen. Andere, wie der Algenwiesenlippfisch (Symphodus trutta) sind auf den Fang kleiner Wirbelloser spezialisiert, welche sich zwischen den Algen verstecken. Auch unter den Wirbellosen gibt es reine Algenfresser: Der geringelte Seehase (Aplysia dactylomela) beispielsweise ist auf wenige Arten der Rotalgen (z. B. Asparagopsis) spezialisiert, die er in außerordentlichen Mengen konsumiert.

 

Unter den bemerkenswertesten Aufgaben zur Aufrechterhaltung des ökologischen Gleichgewichts der Felsriff-Gemeinschaft leisten die Herbivoren vor allem dies: Durch ihren Algenkonsum schaffen sie Platz und Besiedlungsflächen für sesshafte Tiere.

 
Eine entscheidende Rolle in diesem Konkurrenzspiel hat insbesondere der schwarze Diademseeigel (Diadema antillarum). Diademseeigel sind in der Regel auf die Vorarbeit anderer Algenfresser angewiesen, da sie nicht in dichten Tangwäldern ansiedeln, bzw. sich nicht durch diese hindurchbewegen können.

 
Rotlippenblennie (Ophioblennius atlanticus atlanticus)
Der Rotlippenblennie (Ophioblennius atlanticus atlanticus) ist ein reiner Pflanzenfresser (Hervior).
Papageifisch (Sparisoma cretense)
Die bunten Papageifische (Sparisoma cretense) knacken mit ihrem kräftigen Papageiendchnabel die Panzer von Wirbellosen.
Seebrennnessel (Halocordyle disticha)
Seebrennnesseln (Halocordyle disticha) sind Kolonien aus winzigen Polypen (Cnidaria - Nesseltiere), die im Wasser nach Plankton greifen.

 

 

An solchen Stellen mit niedrigem Algenbewuchs gehen sie dann mit ihrem Raspelorgan (der "Laterne des Aristoteles") überaus gründlich vor und hinterlassen völlig blanke Flächen. In tropischen Meeren lassen sich als Sekundärfauna dort vor allem riffbildende Korallenpolypen nieder.

 
Diademseeigel (Diadema antillarum)

Eine der größten Ökokatastrophen in kanarischen Gewässern: Die Massenvermehrung der Diademseeigel (Diadema antillarum)

Goldschwamm (Verongia aerophoba) und Meerpfaue (Thallasoma pavo)   Spitzkopf-Kugelfisch (Canthigaster capistrata)

Nachdem die Diademseeigel den Algenbewuchs der Felsriffe zerstört haben, bildet sich eine Sekundärfauna aus Schwämmen und anderen sessilen Wirbellosen. (Im Bild rechts: Goldschwamm Verongia aerophoba und Meerpfaue Thallasoma pavo).

Jedoch bieten auch die Seeigel selbst Versteckmöglichkeiten (Bild rechts: Spitzkopf-Kugelfisch Canthigaster capistrata)

Vor den Kanaren sind es überwiegend Schwämme. Durch die Ausscheidung von natürlichen Antibiotika können diese primitiven Tiere das Algenwachstum langfristig in Schach halten und sich nachhaltig ihren Platz sichern. Sie ernähren sich durch Filtration von Kleinstorganismen aus dem Plankton (z. B. Bakterien). Weitere sessile Wirbellose finden sich unter den Nesseltieren. Seeanemonen (v. a. die nachtaktive Zylinderrose Isarachnanthus maderensis) und die kolonialen See-Brenn-Nesseln (Halocordyle disticha) greifen mit ihren Tentakeln nach Zooplankton bis zur Größenordnung von Millimetern. Seescheiden (z. B. Halocynthia papillosa) sind in west-kanarischen Gewässern selten, da das planktonische Nahrungsangebot für diese hochentwickelten Filtrierer unzureichend ist. Aus demselben Grund kommen mit Ausnahme der bis zu 80 cm langen Steckmuschel (Pinna rudis) fast keine weiteren Muschelarten vor.

In einer intakten Riffgemeinschaft sorgen zahlreiche mehr oder weniger spezialisierte Räuber dafür, Herbivore und Nahrungsfiltrierer soweit in Schach halten, dass der Algenwiesen nicht zu stark abgeweidet und von ihrer Fläche verdrängt werden. Lauerjäger wie Eidechsenfische (z. B. Synodus synodus) oder Drachenköpfe (Scorpaena maderensis) verschlingen kleinere Fische bis fast zur eigenen Körpergröße. In Höhlen oder unter Felsvorsprüngen lauern weitere Jäger wie Muränen (z. B. Muraena augusti) oder Zackenbarsche (z. B. Epinephelus marginatus). Einige spezialisierte Arten wie der gepunktete Igelfisch (Chilomycterus atringa) oder der Eisseestern (Marthasterias glacialis) sind dazu in der Lage, Diademseeigel zu fressen. Schwämme sind als Nahrung schwer verdaulich, doch haben sich zahlreiche Hinterkiemer-Schnecken auf deren Verzehr spezialisiert (z. B. die warzige Schirmschnecke Umbraculum umbraculum, mehrere Arten Ledernacktschnecken wie Platydoris argo und die gelbviolette Sternschnecke Hypselodoris picta webbi). Sessile Nesseltiere werden von Feuerwürmern (Hermodice carunculata) angefressen und förmlich ausgeschlürft.

 

Insgesamt handelt es sich bei den Riffgemeinschaften um hochkomplexe und sensible, sich selbst regulierende Systeme, die durch Eingriffe des Menschen schnell aus dem Gleichgewicht geraten. Vor allem die gezielte Unterwasserjagd mit Harpunen hat an weiten Küstenabschnitten von Teneriffa und La Gomera zu einer völlig unkontrollierten Ausbreitung der Diademseeigel geführt (--> Übersichtsartikel Diademseeigel)

 
Schwarze Muräne (Muraena augusti)
Nacht- und dämmerungsaktiver Jäger am Felsriff: Die schwarze Muräne (Muraena augusti)
Madeira-Drachenkopf (Scorpaena maderensis)
Als Lauerjäger zwischen den Algen hervorragend versteckt: Der Madeira-Drachenkopf (Scorpaena maderensis)
Gelbviolette Sternschnecke (Hypselodoris picta webbi)
Nahrungsspezialist: Die gelbviolette Sternschnecke (Hypselodoris picta webbi) frisst Schwämme
Schwarzschwanzbarsch (Serranus atricauda)
Zackenbarsche und Sägebarsche (hier: Schwarzschwanzbarsch Serranus atricauda) gehören zu den gefräßigsten Räubern am Riff.
 

  


www.ocean-la-gomera.com- Meeresbiologische Exkursionen in Valle Gran Rey, La Gomera (Kanarische Inseln)

Sanfte Walbeobachtung (soft Whalewatching) -  Felswatt-Exkursion -  Schnorcheln -  Unterwasserfotografie

Sichtungsdaten und Verhalten der Cetaceae (Wale & Delfine), Monitoring (marine Wirbellose, Fische), Foto-Dokumentation